Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Vielleicht hast du eine ähnliche Situation auch schon mal erlebt: im Schulbus erzählt eine Gruppe von Schülern Witze. Dabei kommen immer wieder Witze über Türken vor.

Eine andere Gruppe, vorwiegend türkischstämmiger Schüler, beginnt darauf Witze über Deutsche zu erzählen.

Bei der Ankunft an der Schule schauen sich die beiden Gruppen feindlich an und murmeln Flüche, die die andere Gruppe beleidigen.

Was "aus Spaß" begann, wurde plötzlich sehr ernst. Man hat das Gefühl, als könne gleich etwas Schlimmes passieren, wenn nur einer damit anfängt...

Die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein Erklärungsansatz für politisch motivierte Kriminalität und dabei insbesondere für rechtsextreme Einstellungen.

Fakten

Solche Prozesse der Abwertung passieren nicht nur bei jungen Menschen und zwischen Gruppen, die sich gegenüber stehen. Erwachsene sind mindestens genauso anfällig für solche Stimmungen, die sich beispielsweise auch über Medien aufbauen können.

Meist passieren die einzelnen Schritte aber eher heimlich und unbeobachtet. Aus Witzen und anderen abwertenden Sprüchen werden Stimmungen und ab einem gewissen Punkt wird es scheinbar "ganz normal" diese Inhalte zu glauben und weiter zu transportieren. So normal, dass kaum noch jemand widerspricht.

In der Wissenschaft spricht man dabei von "Schweigespiralen": wenn allzu lange, zu wenige widersprechen, glaubt ein großer Teil der Bevölkerung, dass eine spezielle Gruppe von Menschen eben so oder so ist.

Von solchen abwertenden Sprüchen und schlimmeren sind verschiedene Gruppen betroffen. Meist sind davon gesellschaftlich schwache Gruppen betroffen.

Abgewertet werden beispielsweise Menschen anderer Abstammung oder ethnischer bzw. sozialer Herkunft, Sinti und Roma, Asylsuchende und Geflüchtete, Frauen ("Sexismus"), Personen, die dem Islam oder dem Judentum angehören, Queere Menschen, Obdachlose, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderung.

Dahinter steckt die irrige Idee, dass unterschiedliche Gruppen von Menschen unterschiedlich viel wert sein könnten.

Menschen, die darauf reinfallen, erhalten scheinbar einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge. Auf die Dauer verstärken sich diese abwertenden Haltungen sogar noch.

Wenn sich einzelne Stimmungen und Haltungen verfestigen, spricht man von einer Einstellung. Diese ist über längere Zeit konstant und bestimmt das Denken und Handeln der Person. Insbesondere negative Einstellungen, Abwertung und Intoleranz sind ein Problem.

Gegenüber anderen Meinungen grenzen sich Personen mit einer festen, negativen Einstellung immer weiter ab. Es kommt zu einer Aufteilung in Freunde und Feinde der eigenen Position, die immer weniger Kompromisse und Graustufen zulässt.

In der Wissenschaft spricht man bei solchen Prozessen von Fundamentalisierung oder Radikalisierung.

Wenn Menschen Einstellungen haben, die auf der Abwertung anderer Menschen oder anderer Gruppen aufbauen, wirkt sich dies auf ihr Verhalten aus.

Das muss nicht sofort körperliche Gewalt, z. B. von Hasskriminalität bedeuten, sondern vielleicht zunächst abwertende Blicke, verächtliche Sprüche, Witze auf Kosten der anderen Gruppe bis hin zu Flüchen und Beleidigungen.

Aber auch verbale Gewalt ist Gewalt - insbesondere Opfer können dies bestätigen.

Hier kann sich ein Teufelskreis schließen: wenn es scheinbar "normal" ist, über Minderheiten zu lästern und sie abzuwerten, hören das andere Menschen und machen mit. Das kann so weit gehen, dass große Teile der Bevölkerung solche Stimmungen aufgreifen und beispielsweise bei Wahlen extremen Parteien ihre Stimme geben, die sich für eine Beschränkung der Rechte von Minderheiten einsetzen.

Ein solches menschenfeindliches Klima kann die Gültigkeit der Menschenrechte gefährden. Hier ist die Gesellschaft, die Polizei und jeder Einzelne aufgefordert, die Werte des Grundgesetzes zur Geltung zu bringen und damit zu verteidigen.

Betroffene und Beteiligte

Für menschenfeindliche Sprüche, Haltungen und Einstellungen sind viele Menschen anfällig - gerade eben, weil sie so einfach und nachvollziehbar klingen.

Nach aktuellen Studien finden sich beispielsweise in allen politischen Parteien Menschen, die antisemitischen (d. h. judenfeindlichen) Aussagen zustimmen.

Es sind also nicht nur krasse Außenseiter der Gesellschaft, die darauf hereinfallen, sondern auch viele andere Menschen wie Du und ich.

Das bedeutet, dass Du gegen abwertende Äußerungen da vorgehen solltest, wo Du es selbst kannst. Die Abwertung von Menschen verlangt nach Deinem Widerspruch und nach Deiner Zivilcourage!

Nach der Logik der Abwertung können starke Gruppen schwächere Gruppen unterdrücken. Wer stark oder schwach ist, hängt häufig vom Zufall ab und ist in einzelnen Schulen, Gemeinden und Stadtteilen sehr unterschiedlich.

Das bedeutet auch, dass prinzipiell jede oder jeder Opfer der Abwertung werden kann, wenn plötzlich die "eigene Gruppe" zur schwächeren wird. Auch du!

Das bedeutet, dass du nicht nur den Opfern hilft, wenn du dich für Schwächere einsetzt, sondern auch dir selbst und den allgemeinen Menschenrechten.

Eure Fragen zum Thema

Das sogenannte "Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" ist ein wissenschaftlicher Ansatz einer Forschergruppe der Universität Bielefeld, die über zehn Jahre hinweg die Prozesse der Abwertung von Minderheiten und schwachen Gruppen untersucht hat.

Die Ergebnisse beziehen sich vor allem auf Deutschland, gelten aber prinzipiell auch für andere Länder.

Im Kern geht es darum, dass aus einzelnen abwertenden Einstellungen ein ganzes Bündel entstehen kann, das sich stabilisieren und zu einer Vergiftung des demokratischen Klimas führen kann.

Extremismus ist eine politische Haltung, die den Kernbestand der Werte einer Demokratie abwertet oder sogar bekämpft. Deutschland versteht sich als "wehrhafte Demokratie", die sich gegen den Extremismus wehrt und damit die freiheitlich, demokratische Grundordnung verteidigt.

Einige Forscher haben jedoch beobachtet, dass nicht nur einzelne Personen an den Rändern der Gesellschaft extremistische Meinungen vertreten, sondern auch Menschen, die sich selbst in der Mitte der Gesellschaft sehen.

Die Forscher weisen darauf hin, dass man bei den Bemühungen um die Demokratie und gegen den Extremismus nicht nur auf besonders extreme Personen oder Meinungen achten sollte, sondern auch auf Menschen im persönlichen Umfeld.

Zivilcourage bedeutet da Widerspruch einzulegen, wo Menschenrechte in Gefahr sind - auch in der Schule, im Verein und im ganz normalen Alltag.

Einstellungen kann man nicht wie die Temperatur oder andere physikalische Größen messen - sie lässt sich aber mit Fragebögen und anderen sozialwissenschaftlichen Methoden erfassen.

Gerade bei dem Thema "Kriminalität", aber auch bei menschenfeindlichen Einstellungen gibt es sehr umfassende und aussagekräftige Ergebnisse. Mit diesen Studien lässt sich sagen, wie sich die Einstellungen der deutschen Gesellschaft zu den angesprochenen Fragen verhalten - und wie sie sich verändern.

Populismus bezeichnet in der Politik den Versuch, komplizierte Sachverhalte so sehr zusammenzufassen, dass eine Mehrheit der Zuhörer der Schlussfolgerung zustimmen kann. Dabei kommt es meist zu ideologisch motivierten Verkürzungen und Zuspitzungen, die häufig Vorurteile bedienen und fördern.

Bei der Propaganda geht es sogar darum, absichtlich Sichtweisen der Bevölkerung zu formen, indem mit einseitigen oder verfälschten Informationen getrickst wird. Hier sollen Menschen gelenkt werden.

Beide Kommunikationsformen bieten einfache Erklärungsansätze für komplexe Probleme an und wollen damit die Einstellung der Bevölkerung zu aktuellen Fragen beeinflussen. Letztlich wollen beide das Verhalten der Menschen in ihrem Sinne steuern.

Genau darum geht es bei der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Gruppen, die eine relativ starke Rolle oder Position in einer Gesellschaft verteidigen wollen, werten andere, schwächere Gruppen ab, um sich selbst damit aufzuwerten.

Die Rolle und Position in der Gesellschaft wird vor allem durch das Einkommen, die Bildung sowie familiäre sowie ethnische Herkunft und den Beruf bestimmt. Die Abwertung durch stärkere Gruppen verstärkt deren schwächere Position noch zusätzlich, was sich auch auf die individuellen Möglichkeiten auswirkt, die den Mitgliedern der schwachen Gruppe eingeräumt werden. Doch die Abwertung geht sogar noch weiter, denn sie behauptet sogar, dass die unterschiedliche Chancenverteilung OK wäre und man Schwache abwerten dürfe - bis hin zu gewalthaltigen Übergriffen.

Es ist also nicht nur unfair, Schwache abzuwerten, sondern beschneidet auch deren Grundrechte, bis hin zur Legitimation von Gewalttaten. Deshalb sollte man beizeiten gegen Abwertung vorgehen und Zivilcourage zeigen!

Bewertung

Du arbeitest aktuell als anonymer Benutzer.<br/>Melde Dich für personalisierte Bewertungen an.<br/> Klicke in die Bewertungsleiste Melde Dich bitte an, um zu bewerten

DIESEN ARTIKEL ...

Seite zur Sammlung hinzufügen
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
 
print version